Psychotherapeutin Dr. Anna Kuhns: „Es kann jeden treffen.“

Immer mehr Menschen erkranken an der Psyche. Für viele Versicherer ist eine abgeschlossene Psychotherapie ein pauschaler Ablehnungsgrund. Die Bayerische hat darum speziell für solche Fälle einen besonderen Risiko-Check entwickelt.

Depression auf dem Vormarsch

Sei es Burnout, Depression oder Trauma: Die Zahl der Menschen, die im Laufe ihres Arbeitslebens wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig werden, steigt jährlich an. Seit 1997 hat sie sich fast verdreifacht. „2021 war die Zahl der Fehltage so hoch wie noch nie, pro 100 Versicherte lag sie bei 276 Tagen“, sagt Kristine Rößler, Produkt-Kompetenz-Center/ Produktmanagement die Bayerische, dazu. Betroffene, die erfolgreich eine Therapie durchlaufen, sind anschließend widerstandsfähiger. Die Krise hat sie stärker gemacht.

Für Risikoprüfer vieler Versicherer ist eine solche Therapie allerdings ein Grund, einen Antrag auf die BU-Versicherung pauschal abzulehnen. Eine Absicherung der eigenen Arbeitskraft ist daher für Betroffene schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

Bei der Bayerischen ist das anders. Als erster Versicherer hat sie darum einen anonymen Online-Quick-Check entwickelt, mit dem Interessierte schnell abschätzen können, ob sie trotz psychischer Vorerkrankung eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen können. In nur fünf Multiple-Choice-Fragen steht fest, ob der Antrag Sinn macht. Im zweiten Schritt können Kunden ihre Unterlagen und Angaben bequem als Voranfrage an die Bayerische mailen. Dort prüft Dr. Phil. Anna Kuhns mit weiteren Experten jede Voranfrage individuell.

Dr. Kuhns ist psychologische Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Bei Grenzfällen bietet sie sie auch ein persönliches Gespräch an. Wir haben bei ihr nachgefragt.

„Viele kommen leider erst, wenn der Leidensdruck schon hoch ist“

Redaktion: Frau Dr. Kuhns, wie häufig treffen Sie Menschen, deren Psyche sie komplett gelähmt hat, und wie helfen Sie diesen wieder ins Leben?

Dr Anna Kuhns
Dr. Anna Kuhns

Dr. Anna Kuhns: Depression ist eine sehr weit verbreitete Erkrankung, gerade in den Industrienationen. Zu den Leitsymptomen gehören Interessenverlust und Antriebslosigkeit. Da haben wir in der Verhaltenstherapie Methoden gefunden, die nachhaltig helfen können. Gerade bei der Depression fängt man für gewöhnlich mit der Psychoedukation an.

Das bedeutet, wir helfen den Patienten, Experten ihrer eigenen Symptome zu werden. Wir erklären zum Beispiel, wie es so weit kommen konnte und wodurch sich eine Depression auszeichnet. Manchmal müssen wir aber auch klar machen, welche Gefühle keine Symptome sind – jeder hat mal einen schlechten Tag. Eine Depression hat da ganz andere Dimension. Da geht es nicht um schlechte Stunden oder Tage, sondern um Wochen, in denen man sich einfach nicht mehr wie man selbst fühlt.

Redaktion: Wie geht es nach der Psychoedukation weiter?

Dr. Anna Kuhns: Dann heißt es: wieder ins Leben zurückkommen. Das geht über einen Aufbau von Aktivitäten und um eine Neuaufnahme des Lebens. Alles, was man vorher eingestellt hat – soziale Kontakte, Hobbys und dergleichen – muss wieder hochfahren. Auch wenn man vielleicht keine Lust hat, muss man das in Kauf nehmen, sonst gibt es kein positives Feedback.

„Viele unterschätzen die Veränderungen beim Appetit.“ – Dr. Anna Kuhns

Redaktion: Bei welchen Symptomen denkt der Laie vielleicht gar nicht dran, dass es Depressionssymptome sein könnten?

Dr. Anna Kuhns: Auch wenn es kein Leitsymptom ist: Viele Leute unterschätzen die Veränderung beim Appetit. Hier kann es in zwei drastisch unterschiedliche Richtungen gehen: Entweder nehmen Betroffene deutlich ab, oder sie legen plötzlich an Gewicht zu. Eine andere Sache wäre ein plötzlich enormes Schlafbedürfnis. Bei einer schweren Depression kann schon das Ausräumen der Spülmaschine die schlimmste Aufgabe des Tages sein.

Redaktion: Also gibt es auch in der Depression ein Spektrum.

Dr. Anna Kuhns: Das ist richtig. Wir gehen da nach dem ICD-10, das vom Knochenbruch bis zur Angststörung aufführt. Da stehen auch mögliche Symptome drin, die man den Kunden abfragen kann – auf dieser Basis teilen wir Kunden in leichte, mittlere und schwere Verläufe ein. Da fragen wir etwa nach dem Schlaf, dem Appetit oder auch dem grundsätzlichen Wohlbefinden. Wir bauen für jeden Patienten ein bio-psychosoziales Erklärungsmodell. Das bedeutet, wir müssen auch abfragen, was die Person mitbringt:

  • Widerstandsfähigkeit
  • Impulskontrolle
  • Soziales Netzwerk
  • Fühlt er sich im Job angekommen?
  • Beziehung
  • Familien-Anamnese

Redaktion: Warum die Familien-Anamnese?

Dr. Anna Kuhns: Viele psychische Erkrankungen haben tatsächlich eine genetische Komponente, die man immer wieder in Betracht ziehen muss. „Bio“ bedeutet aber auch aktuell-biologisch. Ein Beispiel dazu: Eine Schilddrüsenfehlfunktion kann dazu führen, dass man depressive Symptome zeigt, ohne tatsächlich depressiv zu sein. Da liegt dann eine organische Depression vor, etwa beim Hashimoto-Syndrom.

„Das Spektrum der psychischen- und Verhaltensstörungen ist breit.“

Redaktion: Wie viele psychische Erkrankungen stehen im ICD-10?

Dr. Anna Kuhns: Das Spektrum der psychischen- und Verhaltensstörungen umfasst den Bereich F-00 bis F-99. Darunter fallen Kategorien wie zum Beispiel affektive Störungen, neurotische Störungen, ADHS und ähnliche, oder auch Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Die Palette ist groß, aber viele kennen da eben nur zwei bis drei Krankheitsbilder.

Redaktion: Welche sind etwaige Vorzeichen für eine Lähmung durch eine angeschlagene Psyche?

Dr. Anna Kuhns: Ein wichtiges Frühwarnzeichen ist, wenn man sich immer mehr zurückzieht. Wenn man Dinge, die man früher sehr gern gemacht hat, plötzlich gar nicht mehr tut. Oder sich so fühlt, als müsste man viel Energie dafür aufbringen.

„Oft kommen die Leute erst, wenn der Leidensdruck bereits sehr hoch ist.“

Redaktion: Haben Sie es bereits erlebt, dass Sie bei einem Patienten dachten: „Gut, dass Sie jetzt hier sind, das hätte noch viel schlimmer ausgehen können“?

Dr. Anna Kuhns: Ich glaube, jeder kommt zur richtigen Zeit. Wenn es ihm passt. Es dauert ja auch immer eine Weile, bis man einen Termin bekommt. Mit sechs Monaten Wartezeit muss man da schon rechnen. Leider ist es bei uns so, dass die Leute oft erst dann kommen, wenn der Leidensdruck bereits sehr hoch ist.

Redaktion: Wie lang sind die Therapiemodelle?

Dr. Anna Kuhns: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben vier Möglichkeiten:

  • Kurzzeittherapie (12 Stunden)
  • Akut-Therapie (12 Stunden)
  • Kurzzeittherapie 2 (12+12 Stunden)
  • Langzeittherapie (45-60 Stunden)

Danach können Patienten einen Verlängerungsantrag stellen und auf 80 Stunden verlängern. Nachdem das maximale Kontingent von 80 Stunden in einem Therapieverfahren ausgeschöpft ist, wird man für 1,5 Jahre für das jeweilige Verfahren gesperrt. In der Zwischenzeit kann man die anderen Richtlinienverfahren in Anspruch nehmen (zum Beispiel tiefen-orientierte Psychotherapie).

Redaktion: Gibt es eine bestimmte Alters- oder Berufsgruppe, die Sie besonders häufig besucht?

Dr. Anna Kuhns: Aus eigener Erfahrung kann ich das nicht sagen. Feuerwehrleute, Banker, Berater – jeder kommt zu uns, und das auch in jedem Alter ab 18. Es kann jeden treffen.

Bei der Bayerischen ist eine Psychotherapie kein pauschaler Ablehnungsgrund für den BU-Antrag. Egal, ob sie schon länger absolviert ist oder noch läuft. Im Gegenteil: Wer den Quick-Check besteht, hat durchaus Chancen auf eine Annahme.

Stefan Günther, Leiter der Risikoprüfung die Bayerische, sagt dazu: „Frau Dr. Kuhns gibt den Risikoprüferinnen und -prüfern bei uns Sicherheit, indem sie uns beispielsweise Nuancen zwischen den einzelnen Diagnosen näherbringt. So können wir besser einschätzen, ob das eine eher leichte Geschichte ist, die wir eher annehmen können, ob normal oder mit Ausschluss, oder ob das eine schwerere Diagnose ist, die man doch ablehnen muss. So kann es zum Beispiel sein, dass auch Menschen, die in Behandlung sind, angenommen werden – vielleicht mit Erschwerung, aber sie haben dann einen Versicherungsschutz.“

Unter diesem Link gibt es weitere Informationen dazu.

 

D Lounge 2023 1
An jedem Termin der D-Lounge freuen wir uns, die ersten 20 Interessenten als Gäste vor Ort begrüßen zu dürfen.

Titelbild & Beitragsbild:© Dr. Anna Kuhns

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Autor

NewFinance Redaktion
NewFinance Redaktionhttps://www.newfinance.de
Hier bloggt die Redaktion von NewFinance.today zu allgemeinen und speziellen Themen rund um Versicherung, Finanzen und Vorsorge aber auch zu Unternehmensthemen der Bayerischen. Wir wünschen eine spannende und interessante Lektüre!

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